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125 Jahre höhere Schulbildung in Hofgeismar

Anlässlich des Jubiläums 2006 erschien in der Hessisch-Niedersächsischen Allgemeinen eine von Eberhard Mey verfasste Artikel-Serie  zum Werdegang der heutigen Albert-Schweitzer-Schule, die der Förderverein der Schule mit freundlicher Genehmigung hier wiedergibt:

 

HNA 21.06.2006

Latein spart Militärzeit

Eineinhalb Jahrhunderte höhere Bildung in Hofgeismar
Jubiläum im September

Am 23. und 24. September dieses Jahres (2006)  feiert die Albert-Schweitzer-Schule Hofgeismar ein Jubiläum: 150 Jahre weiterführende Schule.

Ein qualifiziertes Schulangebot auch im ländlichen Raum ist heute eine Selbstverständlichkeit – aber das war nicht immer so. Als die Hofgeismarer Bürger vor 150 Jahren die Einrichtung von Realklassen erreichten, war das ein besonderes Angebot.

Seit dem Spätmittelalter wurde auch in kleineren Städten Unterricht in Latein – und damit die Voraussetzung für den Besuch einer Universität – erteilt. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden in größeren Städten die Lateinschulen zu Gymnasien umgewandelt. Der Unterricht an den Stadtschulen in kleineren Orten – vor allem in den „Realfächern“ (Naturwissenschaften) – ließ oft zu wünschen übrig. Hofgeismarer Bürger bemühten sich daher bereits 1849 um eine Verbesserung ihrer Stadtschule. Aber erst 1856 genehmigte die Kurhessische Regierung die Einrichtung von „Realklassen“, die im Rathaus untergebracht wurden.

In den folgenden Jahren kam es zu zahlreichen Veränderungen der Schulorganisation. Seit 1872 wurde die Hofgeismarer Schule als „Berechtigte Höhere Bürgerschule“ bezeichnet, seit 1878 als „Realschule erster Ordnung“. Diese Bezeichnung war für die Absolventen von großer Bedeutung. Durch das Bestehen der Abschlussprüfung reduzierte sich ihre Dienstzeit beim Militär auf ein Jahr. Da die Schüler ab der Klasse 5 Lateinunterricht erhalten hatten, konnten die „Einjährigen“ aber auch an einem Gymnasium – etwa in Kassel – ihr Abitur machen.

Die Schule wurde von der Stadt Hofgeismar unterhalten. Sie ermöglichte den Hofgeismarer Jungen damit deutlich besser Bildungschancen als die meisten anderen hessischen Städten vergleichbarer Größe. Der Schulbesuch war allerdings nur möglich, wenn die Schüler eine Aufnahmeprüfung bestanden und die Eltern in der Lage waren, Schulgeld zu bezahlen. Die Gesamtzahl der Schüler lag am Ende des 19. Jahrhunderts bei knapp 100, d.h. pro Jahrgang wurde nur eine Klasse eingerichtet.

Nach dem 1. Weltkrieg erweiterte sich das Schulangebot. Die Hofgeismarer Schule zu einem „Reform-Realgymnasium“ umgewandelt, in dem zunächst die modernen Sprachen und Latein erst ab Klasse 10 unterrichtet wurde. Die Schule erhielt eine Oberstufe und nahm seit 1922 Mädchen auf. Unter den Hofgeismarer Schülern, die 1926 ihr Abitur bestanden, waren auch drei Mädchen.

Auch in Hofgeismar wurde die Schule von den nationalsozialistischen Machthabern beeinflusst: Die Unterrichtsinhalte wurden verändert und die Schulzeit wurde 1936 um ein Jahr verkürzt.

Bereits vor dem 1. Weltkrieg waren Pläne zum Bau eines eigenen Schulgebäudes erarbeitet worden. Aus finanziellen Gründen ließen sie sich aber nicht verwirklichen. Die Schule blieb weiterhin im Rathaus untergebracht, nach 1945 wurde allerdings in mehreren Gebäuden in der Stadt unterrichtet. Erst 1953 konnte der Neubau der Schule in der Magazinstraße eingeweiht werden, die zu diesem Zeitpunkt auf Initiative des damaligen Direktors Dr. Fritz Hofmann ihren heutigen Namen Albert-Schweitzer-Schule erhielt.

Bau-Entwurf: So sollte nach ersten Planungen das Gymnasium in Hofgeismar aussehen. Der Entwurf stammt aus dem Jahr 1914.
Als Standort wurde der Pflanzhagen ausgewählt. Die Verantwortlichen wollten die Schule in der Nähe des Bahnhofs,
 damit  Fahrschüler nicht so weite Wege zurücklegen müssen. (Foto: Archiv der ASS Hofgeismar)

Daten der Schulentwicklung

1849 Antrag auf Einrichtung einer „Vorschule für das Gymnasium mit Realklassen“ wird abgelehnt
1856 Genehmigung der Einrichtung von Realklassen im Rathaus
1872 Anerkennung als „Berechtigte Höhere Bürgerschule“
1878 Realschule 1.Ordnung (Latein ab Klasse 5, Französisch ab 6, Englisch ab 8)
1883 Realprogymnasium bis zur Klasse 11
1892 Progymnasium bis zur Klasse 10 (Latein ab 5, Französisch ab 7, Griechisch ab 8, Englisch ab 9)
1901 Antrag auf Zulassung von Mädchen wird abgelehnt
1922 Beginn des Ausbaus zum Reform-Realgymnasium (Französisch ab 5, Englisch ab 8, Latein ab 10), Zulassung von Mädchen
1926 1. Abitur
1937 Oberschule für Jungen
1938 Verkürzung der Schulzeit auf 8 Jahre
1945 Unterrichtsende am 28. März
1946 Wiedereröffnung als Realgymnasium am 7. Januar
1953 Umzug in das Gebäude an der Magazinstraße, Namensgebung „Albert-Schweitzer-Schule“
1955 Einweihung des Aula-Trakts
1972 Beginn der Umwandlung zur Oberstufenschule
1972 Einweihung der Sporthalle
1976 Einweihung des Neubaus (Naturwissenschaftlicher Trakt)
1978 ASS ist Oberstufenschule: Alle Schüler der Jahrgangsstufe 11 haben zuvor eine Gesamtschule besucht

  

 

HNA 27.06.2006

In die weite Welt hinaus

Hofgeismarer Gymnasiasten zogen aus - und blieben der Schule verbunden

Gäste aus aller Welt erwartet die Albert-Schweitzer-Schule Hofgeismar, wenn sie im September 2006 ihr 150-jähriges Jubiläum feiert. Im Zeitalter der Globalisierung ist es nicht verwunderlich, wenn Abiturientinnen und Abiturienten der Schule heute beruflich in Ländern wie den USA, der Türkei, Australien oder Belize tätig sind.
Eine weiterführende Schulbildung führte aber bereits vor mehr als 100 Jahren zu einer erhöhten Mobilität. Von den Schülern, die in den Jahren nach 1871 das damalige Progymnasium Hofgeismar besuchten (Mädchen wurden erst seit 1922 aufgenommen), blieben weniger als die Hälfte in der Region. Viele Absolventen fanden ihren Arbeitsplatz als Kaufleute, Beamte oder Ärzte in deutschen Großstädten wie Hamburg, Köln, Berlin oder Frankfurt oder auch im europäischen Ausland (Großbritannien, Spanien). Recht hoch ist die Zahl der Auswanderer nach Übersee, was dem allgemeinen Trend der Zeit entsprach. Vier ehemalige Schüler zog es nach Afrika (Ägypten, Südafrika) und sieben nach Lateinamerika (Chile, Brasilien). Die größte Zahl der Auswanderer ging in die USA: von den ersten 300 Schülern fanden 38 dort ihre neue Heimat. Sie konnten auf der schulischen Bildung, die sie in Hofgeismar erhalten hatten, aufbauen und in Städten wie New York, Chicago und St. Louis, aber auch in Texas und San Francisco erfolgreiche Ärzte, Kaufleute, Hotelmanager und Büchsenmacher werden. Offenbar hatten die meisten weiterhin Kontakte in die alte Heimat. Als die Hofgeismarer Schule in Jahr 1897 zum 25-jährigen Jubiläum der Anerkennung als Höhere Bürgerschule eine Liste der ehemaligen Schüler zusammenstellte, lagen die entsprechenden Informationen vor. Einige der Auswanderer kamen auch zum Heimatbesuch zurück. Bei einem Schüler, der 1872 abgegangen war, steht in der Rubrik Wohnort: „ausgew. nach Amerika, z.Z. Eberschütz“. Nur bei einem Schüler wird vermerkt. „In Amerika verschollen.“
Die Ehemaligen hatten offenbar die alte „Penne“ in guter Erinnerung, was sich in Geschenken an die Schule ausdrückte. Richard Schlieper, der Sohn eines Gutspächters, der „Kunstgärtner in Jena“ geworden war, hielt sich längere Zeit in Helouan bei Kairo auf und machte der Schule mehrfach Geschenke, neben mehreren Fotografien aus Ägypten auch nordafrikanische Skorpione und Isiskäfer.
Eine besondere Karriere machte Louis Schiricke, Sohn eines Hofgeismarer Färbermeisters, der 1872 zu den ersten Absolventen der Schule gehört hatte: Er wurde „Direktor der Grossen Venezuela Eisenbahn“. 1893 sagte der Schulleiter im Jahresbericht der Schule besonderen Dank für ungewöhnliche Geschenke aus Südamerika: Schiricke hatte der Schule „eine wertvolle Sammlung, von Spiritus-Präparaten, enthaltend eine Klapperschlange, eine Tigerschlange, mehrere Nattern eine Eidechse, Heuschrecken, einen blühenden und einen fruchttragenden Zweig des Kaffeebaums, die Frucht der westindischen Nierenbaum und ein Stück Zuckerrohr“ übersandt.

 

 Erwin Goldschmidt aus Hofgeismar mit der damals
 typischen Schülermütze 1934, der letzte jüdische Schüler des
 Hofgeismarer Gymnasiums.
Er konnte noch rechtzeitig in die USA auswandern.
:

 

HNA 05.07.2006

Als Schule weiblich wurde

Seit 1922 Mädchen auf der Albert-Schweitzer-Schule,
in der NS-Zeit als Sonderfall geduldet

Die Albert-Schweitzer-Schule Hofgeismar wird im Schuljahr 2005/06 von 211 Mädchen und 174 Jungen besucht. Koedukation, die heute selbstverständlich ist, war zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch die Ausnahme. Hofgeismarer Bürger hatten bereits vor dem Ersten Weltkrieg die Zulassung ihrer Töchter zum damaligen Realprogymnasium gefordert, aber erst 1922 wurden die ersten Mädchen aufgenommen. Die neuen Bildungschancen wurden von der Bevölkerung dankbar aufgenommen: Im Schuljahr 1930/31 waren bereits 34 % der Schülerschaft Mädchen.
Den Nationalsozialisten, die 1933 die Macht errangen, war die Koedukation ein Dorn im Auge. Hitler wollte die Mädchen vor allem auf ihre künftige Rolle als Mutter vorbereiten lassen. 1934 wurde daher angeordnet, dass Mädchen grundsätzlich von höheren Schulen für die männliche Jugend „fernzuhalten“ seien. In besonders gelagerten Fällen waren Anträge auf Zulassung mit eingehender Begründung erforderlich.
Heinrich Henkel, der Leiter des Hofgeismarer Gymnasiums, der sein Amt behalten konnte, obwohl er nicht Mitglied der NSDAP geworden war, hatte sich schon in den 20-er Jahren positiv über die Koedukation geäußert. Er versuchte sie auch unter den geänderten politischen Verhältnissen weiterhin zu ermöglichen. Wie aus verschiedenen Schulakten hervorgeht, bemühte er sich in seinen Anträgen an die Behörden um Argumente, die der NS-Ideologie entsprachen. So betonte er, dass Hofgeismar Garnisonsstadt sei und die Offiziere und Militärbeamten eine weiterführende Schulbildung für ihre Töchter wünschten. Auch die „Erbhofbauern“ des Kreises (1935 gab er ihre Zahl mit 400 an, in den folgenden Jahren mit 500 bzw. 600) erwarteten eine Berufsvorbildung für ihre jüngeren Kinder. Da die Nationalsozialisten die Kinderzahl steigern wollten, betonte er, dass mit der Genehmigung des Schulbesuchs von Mädchen ein Beitrag dazu geleistet werden könne, „die Gefahr des Zweikindersystems in Erbhofbauernfamilien“ zu überwinden. Bei einer Reduzierung des Schulgeldaufkommens wäre zudem ein höherer staatlicher Zuschuss erforderlich. 1936 sprach Henkel auch die Abneigung der Nationalsozialisten gegen einen kirchlichen Einfluss an, als er die Aufnahme eines Mädchen aus Warburg befürwortete, dessen Vater den konfessionell geprägten Unterricht bei den Ursulinen in Warburg ablehnte.
Die Bemühungen des Schulleiters waren erfolgreich. Alle in den Akten vorliegenden Anträge wurden von der Behörde genehmigt, wenn auch bis 1938 meist mit dem Vermerk „ausnahmsweise“. Der in diesem Jahr veröffentlichte Einführungserlass zur Neuordnung des höheren Schulwesens erklärte zwar noch einmal: „Eine gemeinsame Schulerziehung der Geschlechter widerspricht nationalsozialistischem Erziehungsgeiste“, die Existenz von „Sonderfällen“ wurde aber durchaus anerkannt.
Obwohl der Schulleiter die Koedukation befürwortete, schienen die Nazis ihre Ziele zunächst zu erreichen: Die Zahl der Schülerinnen sank im Schuljahr 1936/37 auf 53 (21% der Schülerschaft). In den folgenden Jahren stieg sie allerdings wieder an und näherte sich im Jahr 1940/41 mit 83 (29%) dem Höchstwert aus dem Schuljahr 1930/31.
Die Mädchen wurden in allen Fächern zusammen mit den Jungen unterrichtet. Die Mädchen erhielten lediglich zusätzlichen Handarbeitsunterricht. Im Sportunterricht, der getrennt nach Geschlechtern erteilt wurde, erhielten die Jungen seit dem Schuljahr 1936/37 eine zusätzliche Stunde, die vornehmlich Kampfsportarten wie dem Boxen gewidmet werden sollte.
Als die Schule nach Kriegsende im Januar 1946 wieder eröffnet wurde, war unstrittig, dass sie auch von Mädchen besucht werden durfte. Bis zum Jahr 1953 führte sie aber den Namen „Realgymnasium für Jungen“, da der entsprechende Lehrplan benutzt wurde.

Gemischte Klasse: Mädchen und Jungen des Hofgeismarer Gymnasiums im Jahr 1943.
In der Bildmitte Studienrat Rudolf Keller, seinerzeit kommissarisch eingesetzter Schulleiter
(Foto: Stadtmuseum Hofgeismar)

 

 

 

Schüler als Flakhelfer

Der Zweite Weltkrieg, der am 1. September 1939 mit dem deutschen Überfall auf Polen begann, wirkte sich auch auf die Hofgeismarer Oberschule aus. Bereits im ersten Kriegsjahr wurde der Unterrichtsbetrieb beeinträchtigt, da sieben Lehrer zum Kriegsdienst einberufen wurden. Der Religions-, Zeichen- und Musikunterricht entfiel ganz, in anderen Fächern wurde die Stundenzahl reduziert. Vorsorglich evakuierte Bewohner des Saarlandes wurden im Herbst 1939 in der Schule untergebracht. Vom 19. Januar bis zum 9. März 1940 fiel der Unterricht aus, da der Schule nicht genügend Kohle geliefert wurde. Lediglich die Abschlussklasse wurde im Amtszimmer des Direktors unterrichtet.
Angesichts der Kriegsbedingungen wurden Frühjahr 1940 alle Schülerinnen und Schüler versetzt; es wurde allerdings erwartet, dass bestehende Wissenslücken bis zu den Sommerferien ausgeglichen wurden. In den folgenden Jahren wurden die Versetzungsbestimmungen wieder angewandt, im Sommer 1943 wurde jedoch betont, dass für die Versetzung der Schüler die „Haltung maßgebend“ sei.
Mehrfach kamen Offiziere in die Schule, um über ihre Kriegserfahrungen zu berichten und für den Militärdienst zu werben. Die meisten Jungen der Abschlussklassen wurden vorzeitig zum Militär oder zum Reichsarbeitsdienst eingezogen. Bereits im Jahr 1940 wurden ihnen „Reifezeugnisse“ ohne Prüfung ausgestellt. Schüler der jüngeren Jahrgänge wurden als Flakhelfer herangezogen. Seit dem Herbst 1943 waren davon Jungen der Jahrgänge 1927 und 1928 betroffen – d.h. nach heutiger Zählung Schüler der Klassen 9-11. Auch einige Mädchen wurden seit 1943 zum „Osteinsatz“ herangezogen.
Die Schülerzahl erhöhte sich, da Eltern aus Kassel, aber auch aus anderen Großstädten ihre Kinder auf dem Land in Sicherheit bringen wollten. Das war insbesondere nach dem großen Bombenangriff auf Kassel am 22. Oktober 1943 der Fall. Von 1943 bis 1944 standen dem Gymnasium nur ein Teil seiner Räume im Rathaus zur Verfügung, da eine Oberschule aus Bremen-Vegesack nach Hofgeismar ausgelagert wurde.
In den letzten Kriegsjahren wurde der Unterrichtsbetrieb mehr und mehr durch den Dienst der Schüler als Flak-Helfer beeinträchtigt. Da das Heizmaterial der Schule im Januar 1945 beschlagnahmt worden war, musste der Unterricht in drei Räumen der Volksschule stattfinden. Parallelklassen wurden zusammengelegt, so dass die Klassengröße bis auf 90 stieg. Zusätzliche Schwierigkeiten ergaben sich für die Fahrschüler durch die Störungen des Zugverkehrs durch Fliegeralarme. Einzelne Klassen sollten daher in „Stützpunkten“ in Grebenstein, Trendelburg und Hümme unterrichtet werden.
Die letzte Gesamtkonferenz vor Kriegsende fand am 6. März 1945 statt. Das Protokoll enthält Pläne, wie der Schulbetrieb weitergeführt werden sollte. Da im Rathaus nur noch zwei Räume für den Unterricht zur Verfügung standen, sollten Schüler der fünf jüngsten Klassen jeweils nur für einen Tag pro Woche in die Schule kommen und Aufgaben für die übrigen Tage erhalten. Das Kollegium wusste, dass das Kriegsende bevorstand. Frau Dr. Schuchard, die als eine der jüngeren Lehrerinnen an der Konferenz teilnahm, erinnerte sich bei einem späteren Besuch in der Schule, dass die Kollegen sich vor deren Beginn gefragt hatten, ob denn auch genügend weiße Tücher bereit lägen, falls die amerikanischen Truppen die Stadt noch während der Konferenz erreichten.
Der Unterricht wurde am 28. März, dem letzten Schultag vor den Osterferien beendet. Am 5. April rückten die US-Truppen in Hofgeismar ein.

 

HNA 08.07.2006

Nicht geschützte Schüler

Die Töchter der Lilli Jahn besuchten die Albert-Schweitzer-Schule

 
Abiturjahrgang 1928:
 Zwischen 1871 und 1936 gingen 119 Schüler jüdischen Glaubens auf das Hofgeismarer
Gymnasium, unter ihnen auch der 1994 verstorbene Dr. Alfred Heilbrunn (untere Reihe, 2. v. r.),
ein langjähriger Förderer
der Judaica-Abteilung des Stadtmuseums Hofgeismar.
(Foto: Stadtmuseum Hofgeismar)

Im Februar 2003 las Dr. Martin Doerry in der Aula der ASS aus seinem Buch über seine Großmutter Dr. Lilli Jahn, in dem auch die Hofgeismarer Oberschule erwähnt wird.

Die aus Köln stammende Ärztin hatte 1926 einen Kollegen geheiratet, der eine Praxis in Immenhausen übernahm. Aus der Ehe gingen fünf Kinder hervor, die unter „normalen“ Bedingungen vermutlich das Hofgeismarer Gymnasium besucht hätten. Doch 1933 übernahmen die Nazis die Macht – und Lilli Jahn war Jüdin. Da sich ihr christlicher Mann 1942 vor ihr scheiden ließ, hatte sie nicht mehr den Schutz, in einer „Mischehe“ zu leben. Im Juli 1943 wurde sie mit ihren Kindern nach Kassel ausgewiesen und im September desselben Jahres in das KZ-Außenlager Breitenau gebracht. Ihre Kinder konnten in Kassel die Anfangsklassen des Gymnasiums (die Töchter Ilse und Johanna die Jacob-Grimm-Schule) besuchen, obwohl sie nach der Terminologie der Nazis „Halbjuden“ waren,

Bei dem großen Bombenangriff auf Kassel im Oktober 1943 wurde auch das Haus, in dem die Kinder Jahn lebten, zerstört. Die jüngeren Kinder zogen wieder nach Immenhausen, wo sie bei der zweiten Frau ihres Vaters lebten. Seit dem 11. November 1943 besuchten Ilse und Johanna die Oberschule in Hofgeismar. Ilse Jahn schrieb in ihren Briefen an ihre Mutter vor allem über die Lage in Immenhausen, wo sie für die jüngeren Geschwister die Rolle der Mutter übernehmen musste, aber auch die Schule wurde mehrfach erwähnt: Den Unterricht über Vererbungslehre bei Professor Grupe empfand sie als „todlangweilig“. Sehr lobend äußerte sie sich über den Kunstunterricht bei Adolf Faust (1882-1945) – ein „ganz fabelhafter Mann“, der Gemälde von Stephan Lochner und den Isenheimer Altar erläuterte.

Besonders ausführlich berichtete Ilse Jahn über den letzten Schultag vor den Weihnachtsferien 1943. Die Schüler hatten als Geburtstagsgeschenk einen Kuchen für ihren Klassenlehrer gebacken und musizierten für ihn. Der Lehrer bedankte sich mit einem Gedicht, das er selbst geschrieben hatte. „Das Gedicht war über ein Bild einer alten Frau, die ihre Hände über die Augen deckt. Er sagte, damit ließe er uns bis tief in ihn hineinschauen.“ Für die 14-jährige Ilse war es „unbeschreiblich schön. Überhaupt so wie der Lehrer ein feiner und seltener Mensch ist“. Der mehrfach erwähnte „geliebte und verehrte“ Klassenlehrer war Dr. Johannes Müller (1894–1977), der erst an dem Tag, an dem 1937 das Beamtengesetz in Kraft trat, Mitglied der NSDAP wurde.

Im Frühjahr 1944 wurde Lilli Jahn von Breitenau nach Auschwitz deportiert, wo sie noch im selben Jahr ermordet wurde. Für ihre Tochter Ilse, die „Halbjüdin“, war ein weiterer Schulbesuch nicht möglich. Sie wurde am Schuljahresende 1944 zwar versetzt, musste die Schule aber am 3. Juli verlassen. Die jüngere Schwester Johanna war im November 1943 in eine Jungenschule aus Bremen-Vegesack aufgenommen worden, die nach Hofgeismar evakuiert war. Vermutlich waren die Bremer Lehrer nicht über Johannas Mutter informiert, so dass sie weiter zur Schule gehen konnte. Als die Bremer Schule im November 1944 ihren Evakuierungsort verließ, wurde sie von der Hofgeismarer Schule übernommen.

Ilse Jahn konnte erst ab Ostern 1946 wieder die Hofgeismarer Schule besuchen und im Sommer 1948 ihr Abitur ablegen.

 


 

Martin Doerry: „Mein verwundetes Herz“. Das Leben der Lilli Jahn 1900-1944. Stuttgart, München: dva 2002, auch als Taschenbuch München dtv.


 


 

Jüdische Schüler des Realgymnasiums

Bereits seit der Mitte des 19. Jahrhunderts bemühten sich Angehörige der Hofgeismarer jüdischen Gemeinde darum, ihren Söhnen eine weiterführende Bildung zukommen zu lassen. In den 1880-er Jahren waren bis zu 23 % der Schüler des Realprogymnasiums jüdischen Glaubens. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts ging ihre Zahl stark zurück. Insgesamt besuchten von 1871 bis 1936 119 Schülerinnen und Schüler jüdischen Glaubens die Schule. Der letzte jüdische Schüler, Erwin Goldschmidt, konnte 1936 mit seiner Familie nach Amerika auswandern.
Dank der Forschungen von Dr. Michael Dorhs lässt sich nachweisen, dass mindestens 12 Schülerinnen und Schüler des Hofgeismarer (Pro-)Gymnasiums Opfer der Shoah wurden.



Abiturjahrgang 1931:  1. v. l. Ilse Heilbrunn aus Hofgeismar, der als Jüdin 1938 noch die rettende Emigration
 in die USA gelang. Ihre Mutter, ein Onkel, eine
Tante und eine Cousine wurden im KZ ermordet.

 

HNA 26.07.2006

Der folgende Text stützt sich auf die Arbeit einer Schülergruppe aus dem Jahr 2000. Ein Orientierungskurs Geschichte der ASS beteiligte sich mit einem Beitrag zum Thema „Schule nach 1945“ am Wettbewerb der Bundeszentrale für politische Bildung. Der Beitrag wurde mit einem der vier Spitzenpreise ausgezeichnet: Die Schülerinnen und Schüler gewannen eine einwöchige Studienfahrt nach Prag.

 

Schwieriger Neubeginn

Albert-Schweitzer-Schule nach 1945:

Zwischen Entnazifizierung und neuen Mauern

Nach dem Einmarsch der US-Truppen im Frühjahr 1945 blieben zunächst alle Schulen geschlossen. Erst im Januar 1946 konnte das Hofgeismarer Gymnasium wieder eröffnet werden. Als der Unterricht wieder begann, hatten Lehrer und Schüler mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen.
Zu Beginn des Jahres 1946 standen nur acht Lehrer zur Verfügung. Im Laufe des Schuljahrs wurden weitere neun Lehrkräfte eingestellt, von denen einige als Flüchtlinge nach Hofgeismar gekommen waren. Mehrere Lehrer, auch der Direktor Dr. Hofmann, befanden sich noch in Kriegsgefangenschaft. Die Mitglieder der NSDAP mussten sich zunächst einem Entnazifizierungsverfahren stellen. Dabei wurden mehrere Lehrer zunächst entlassen und erst nach Jahren wieder eingestellt.
Die Schülerzahl hatte im Januar 1946 bei 311 gelegen, stieg aber bis zum Ende des Schuljahrs auf 500 an. Angesichts der begrenzten Raumverhältnisse wurden die Fahrschüler am Vormittag, die einheimischen am Nachmittag unterrichtet. Im Rathaus, dem traditionellen Schulgebäude, stand zunächst nur ein Unterrichtsraum zur Verfügung. Als Ausweichquartiere wurden in den folgenden Jahren der Gemeindesaal der Altstädter Kirche und Räume in der Volksschule, in der Jugendherberge und im Siechenhaus sowie in Sommer in der Landwirtschaftsschule und im Winter im Predigerseminar genutzt. Die Gebäude waren über die ganze Stadt verteilt, was bei Lehrerwechseln zu erheblichen Problemen führte, da die Lehrer zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs waren. In den ersten Wintern gab es zudem Probleme mit dem Heizmaterial. Die Schüler wurden gebeten, Holz oder Briketts mit in die Schule zu bringen.
Auf Anweisung der amerikanischen Besatzungsmacht wurden Bücher mit nationalsozialistischem Inhalt aus der Bibliothek ausgesondert. Auch für den Unterricht stand zunächst nur wenig Lehrmaterial zur Verfügung. Da die Schulbücher der Genehmigung bedurften und neue Bücher oft nicht beschaffen waren, wurde in den ersten Jahren in einigen Fächern weitgehend ohne Bücher unterrichtet. Die Schüler musste die Vorträge der Lehrer mitschreiben. Auch das war nicht einfach, da es oft an nötigem Papier fehlte.
Zahlreiche Schüler waren auf die Schulspeisung angewiesen. Dabei wurden nur Kinder aus den Städten berücksichtigt. Bauernkinder gingen als „Selbstversorger“ leer aus.
Obwohl in Hessen Schulgeldfreiheit eingeführt worden war, wurden die Eltern der Hofgeismarer Schülerinnen und Schüler von Dr. Hofmann, der im Jahr 1948 wieder die Leitung der Schule übernommen hatte, sehr deutlich zur Zahlung von Elternbeiträgen aufgefordert. Mit den gesammelten Beträgen versuchte er die Kreisbehörden in Zugzwang zu setzen und den Neubau eines Schulgebäudes zu erreichen.
Die Planungen aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg und den 1920-er Jahren spielten dabei keine Rolle mehr. Nachdem im Jahr 1945 Pläne zur Umgestaltung der Manteuffel-Kaserne entwickelt worden waren, entschloss man sich, die
Fundamente eines Getreidespeichers, der während des Krieges nicht mehr fertiggestellt worden war, für den Schulbau zu nutzen. Im Jahr 1951 erfolgte die Grundsteinlegung, im Jahr 1953 wurde das Schulgebäude eingeweiht. Zu diesem Anlass erhielt die Schule den Namen Albert-Schweitzer-Schule.

 
 Das Fundament der heutigen Albert-Schweitzer-Schule:
der frühere Direktor Dr. Fritz Hofmann (rechts) und zahlreiche
Besucher bei der Grundscheinlegung am 11. Juli 1951
 (Foto: Stadtmuseum Hofgeismar)

 

HNA 29.07.2006

Der Weg nach Europa

Albert-Schweitzer-Schule: Europäische Verbindungen als Leitbild des Gymnasiums

Im Jahr 2004 konnte der damalige Schulleiter Jochen Desel die offizielle Anerkennung der Albert-Schweitzer-Schule als Europa-Schule in Empfang nehmen.

Dem langjährigen Schulleiter Dr. Fritz Hofmann ist es zu verdanken, dass der europäische Gedanke bereits seit 50 Jahren eine große Rolle an der ASS spielt. Hofmann hatte nach seiner Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft 1948 wieder die Leitung der Schule übernommen. Er unterrichtete die Fächer Englisch und Französisch und sah es als seine Aufgabe an, Schülerinnen und Schüler für die europäische Verständigung zu interessieren. Als Leiter des Kreisverbandes der Europa-Union gelang es ihm, mehrere Kollegen für die Sache Europas zu aktivieren und Referenten für Vorträge in der Schule zu gewinnen.

Der europäische Gedanke wurde besonders in der Schule verankert, als die ASS im Jahr 1956 als eine der ersten sechs deutschen Schulen in den Kreis der UNESCO-Modellschulen aufgenommen wurde. Die Schule wählte sich Rahmenthemen für ihre Arbeit und führte Austauschprogramme mit Schulen in Lauttakylä (Finnland), Etampes (Frankreich) und Lanark (Schottland) durch. Auch die damals üblichen Jahresarbeiten der Schülerinnen und Schüler waren oft einem europäischen Thema gewidmet. Besondere Höhepunkte im Leben der Schule waren die Europabälle.

Verantwortlich für die UNESCO-Aktivitäten waren Frau Dr. Schuchard und als ihr Nachfolger Herr Dr. Hochgeschwender; z. Z. ist Kollege Ehls federführend.

Neue Impulse erhielt die europäische Ausrichtung als Dr. Hochgeschwender die Fakultas für Italienisch erwarb. Seit den 1980-er Jahren ist Italienisch eine bei Schülerinnen und Schülern der ASS beliebte Sprache – u.a. auch weil der Unterricht meist durch eine italienische Sprachassistentin unterstützt wird.

Der Italienischunterricht wird durch Austauschfahrten besonders gefördert. Nachdem ein Kontakt zu San Doná bei Venedig nicht weitergeführt werden konnte, kam es in den letzten Jahren zur Kooperation mit Schulen in Forlí in der hessischen Partnerregion Emilia-Romagna, Borgomanero (nördlich von Mailand) und Lecce in Süditalien. Erweitert wurde das Austauschprogramm durch Kontakte zu Schulen in Montaigu (Frankreich), Prag (seit 2002) und Gimo in Schweden (seit 2005).

Die Aktivitäten der ASS ermöglichten 1995 eine erfolgreiche Bewerbung um die Aufnahme in das Europaschul-Programm der hessischen Landesregierung. Nach mehreren Jahren als „assoziierte Europaschule“ wurde sie im Jahr 2000 bei einer Neugestaltung des Programms zur eigentlichen Europaschule ernannt, deren Zahl inzwischen auf 31 erhöht wurde. Sie arbeitet vor allem mit den sechs nordhessischen Europaschule (in Kassel, Bad Hersfeld, Eschwege, Fritzlar und Neu-Eichenberg) zusammen – u.a. bei der Gestaltung des Europatags, der im Mai 2007 an der ASS stattfinden soll

Die Geldzuweisungen für die Europaschulen ermöglichen in jedem Jahr die Durchführung verschiedener Projekte, die sonst kaum möglich wären. Seit 2001 bzw. 2003 werden Kurse in Business English und Français Commercial angeboten, die zu international anerkannten Zertifikaten führen. Ein Europaschulprojekt mit großer Außenwirkung ist der „Themenabend“, der seit 1995 regelmäßig stattfindet.

 

 

 

 

 

HNA 05.08.2006

Hin zur Oberstufe

Albert-Schweitzer-Schule entwickelt sich fort

Wenn im September 2006 das Jubiläum „150 Jahre weiterführende Schule in Hofgeismar“ gefeiert wird, ist das nicht nur die Sache der ASS. Auch die anderen Hofgeismarer Schulen werden sich mit Ausstellungen und Darbietungen präsentieren.

Lange Zeit war das Realgymnasium, die heutige ASS, die einzige weiterführende Schule in Hofgeismar. Diese Situation hat sich seit Ende der 1960-er Jahre grundlegend geändert: Es entstand ein Schulverbund, über den im heutigen Beitrag zur Schulgeschichte berichtet werden soll.

Bereits in den 1950-er Jahren wurde in Hofgeismar das Fehlen einer Realschule bemängelt. Der Schulelternbeirat der Bürgerschule forderte im Jahr 1952 in einer Eingabe, Kindern, „die später im praktischen Leben stehen sollen“ „das nötige reale Wissen zu vermitteln“ und einen besseren Abschluss zu bieten, als die nicht beendete Schulzeit an der Oberschule. Nachdem bereits 1951 die Grebensteiner Stadtschule einen „Aufbauzug“ erhalten hatte, wurde 1953 auch an der Hofgeismarer Bürgerschule ein Realschulzug eingerichtet. Die vom Hofgeismarer Magistrat favorisierte Angliederung der Realschule an die ASS wurde vom Kultusministerium „aus grundsätzlichen Erwägungen“ abgelehnt.

Die größten Veränderungen in der Schulorganisation erfolgten seit 1969. Nach langen leidenschaftlichen Diskussionen unter Politikern, Eltern und Lehrern beschloss der Kreistag des damals noch selbstständigen Kreises Hofgeismar einstimmig einen Schulentwicklungsplan.

Dieser Plan sah die Einrichtung von vier Gesamtschulen in Hofgeismar, Grebenstein, Immenhausen und Karlshafen vor, während die Albert-Schweitzer-Schule zur Oberstufenschule umgewandelt werden sollte. Bereits 1968 waren in Grebenstein, Hofgeismar und Immenhausen freiwillige Förderstufen eingerichtet worden. Im Jahr 1970, als deren Schüler in die Klasse 7 der ASS wechselten, wurde auch in Karlshafen eine Förderstufe eingerichtet.

Im Schuljahr 1971/72 nahm die ASS zum letzten Mal Fünftklässler („Sextaner“) auf. Im folgenden Schuljahr mussten alle Schülerinnen und Schüler, die zur Realschule oder zum Gymnasium gehen wollten, zunächst die Förderstufe an einer der vier „Gesamtschulen im Aufbau“ besuchen. An der ASS sank die Zahl der Schülerinnen und Schüler von 781 im Schuljahr 1970/71 auf ca. 350. Das Kollegium wurde entsprechend von 50 auf 21 reduziert.

Im Schuljahr 1978 war die Umwandlung abgeschlossen: alle 118 Schülerinnen und Schüler, die neu in die Jahrgangsstufe 11 der ASS aufgenommen wurden, hatten zuvor eine Gesamtschule besucht.

Um den Übergang für die Schüler zu erleichtern, wurden Kolleginnen und Kollegen aus den Gesamtschulen an die Oberstufe und umgekehrt abgeordnet. Zudem wurde an jeder Schule ein Kollege mit der Koordination beauftragt.

Die Kooperation hat sich bewährt. Bereits 1980 berichteten die Koordinatoren in einem Bericht an das Staatliche Schulamt, dass sich die Noten der Schülerinnen und Schüler des ersten Jahrgangs an der ASS in den meisten Fächern nicht deutlich von denen unterschieden, die sie an der Gesamtschule erhalten hatten.

Das schulische Angebot veränderte sich in den letzten Jahren, als an den Additiven Gesamtschulen neben den Förderstufen auch Gymnasialklassen in der Jahrgangsstufe 5 eingerichtet wurden. Eine große Veränderung wird sich durch die Verkürzung des Gymnasiums auf 8 Jahre ergeben. Die Verdoppelung der Schülerzahl eines Jahrgangs – die letzten G 9- und die ersten G 8-Klassen kommen zusammen an die Oberstufe – stellt eine Herausforderung dar, die gründlich vorbereitet werden muss.

 

HNA 12.08.2006

Politik spielt immer mit

Leichtathletik - eine kleine Schule sorgt bundesweit für großes Aufsehen

von Michael Rieß

Hofgeismar. Es war Mitte der siebziger Jahre, als Frankfurter Zeitungen voller Erstaunen nach Nordhessen blickten und anerkennend, überrascht und auch ein wenig neidisch fragten, wie denn ein vergleichsweise kleiner Ort wie Hofgeismar Seriensieger beim Bundeswetbrwerb „Jugend trainiert für Olympia” werden könne. 1974, 1975 und 1976 holten die Jungs von der Albert-Schweitzer-Schule leichtathletisches Gold beim Bundesfinale in Berlin. Was Laufen, Springen und Werfen anging, gab es bundesweit keine Schule, die der ASS das Wasser reichen konnte.

Doch bis es zu diesem Erfolg kam, war es ein weiter Weg. Denn die Hofgeismarer Schule machte alle Entwicklungen mit, die der Sport landesweit nahm. Als Leiberserziehung fand das Fach im 19. Jahrhundert Eingang in den Stundenplan. Geprägt war es von Turnen. Im Hintergrund stand das humanistische Ideal von der Einheit des Geistes und des Körpers.Während des Nationalsozialismus spielte die Politik auch im Sport eine immer stärkere Rolle. „Es war schon fast eine vormilitärische Ausbildung”, so Wilhelm Schmidt, der sich mit der Sportgeschichte an der ASS beschäfttigte, dort 1960 Abitur machte und später, bis zu seiner Pensionierung 2002, das Fach Sport unterrichtete.

Der Sinn des Sportunterrichts änderte sich nach dem Krieg natürlich. Nach Außen dokumentiert wurde es durch eine Namensänderung: Aus Leibeserziehung wurde Leibesübung. Doch der Ruf des Sports war zunächst einmal ruiniert. Salopp ausgedrückt: Wer starke Bizeps hat, muss schwach in der Birne sein. Abgesehen von Ballsportarten war Sport auf jeden Fall etwas, das mit Vorsicht zu genießen war.

Doch auch diese Zeit ging vorüber - und mitte der sechziger Jahre änderte das Fach den Namen: Sport stand fortan auf dem Stundenplan. Doch die Politik spielte weiter mit. Man schrieb das Jahr 1968 und westdeutschlands Politiker waren geschockt. Die Olympiade in Mexiko war zu Ende gegangen und im Medaillenspiegel war das sozialistische Deutschland besser als das demokratische. Vier Jahre vor der Olympiade in München hatte die DDR im Sport ihre Überlegenheit gegenüber der Bundesrepublik demonstriert.

Es wurde nach Ursachen gesucht - und als ein „Schuldiger” wurden die Schulen ausgemacht, so Rudi Steinbrecher, der damals an der ASS Sport unterrichtete. Die olympischen Spiele vor Augen reagierte die Politik: Der Bundeswettbewerb „Jugend trainiert für Olympia” wurde ins Leben gerufen. Fast zeitgleich gab es ein Landesprogramm, das die Zusammenarbeit von Schule und Vereinen förderte. Und ebenfalls zeitgleich gab es an der ASS mit Schmidt, Steinbrecher und Doris Müller drei Lehrkräfte, die scheinbar nur darauf gewartet hatten, dem Sport wieder zu mehr Ansehen in der Schülerschaft zu verhelfen.
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„Der Landessieger durfte nach Berlin fliegen. Das war eine Woche schulfrei und noch beliebter als Klassenfahrten.”
 RUDI STEINBRECHER ÜBER DIE MOTIVATION DER SCHÜLER, BEIM WETTBEWERB JUGEND TRAINIERT FÜR OLYMPIA
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„Die Bundesjugendspiele waren ja nicht sehr beliebt bei den Schülern” erinnert sich Steinbrecher. Als Ersatz gab's ein Sportfest. Eine Leichtathletik-Leistungsgruppe wurde 1971 ins Leben gerufen und die ASS-Schüler waren erstaunlich gut. Platz zwei auf Landesebene. Steinbrecher: „Aber wir wollten Erster werden.” Die Zusammenarbeit mit anderen Schulen, dem Schulverbund, wurde gesucht. Die ASS war Leistungszentrum, die umliegenden Schulen steuerten viele Talente bei. Der Erfolg war da: 35 Jahre lang entsandte man eine Mannschaft ins Landesfinale, fünf Mal stellte man dort eine Siegermannschaft, drei Mal gewann man das Bundesfinale. Die Leichtathleten waren zu den besten Botschaftern Hofgeismars geworden.

 Und die Nachwirkungen sind noch heute sichtbar: Die Leichtathletikgemeinschaft Reinhardswald, die aus der Sport-AG hervorging, sorgt immer noch für Furore, die Politik sorgte dafür, dass mit der ASS-Sporthalle und der Laufbahn im Angerstadion optimale Trainingsbedingungen geschaffen wurden. Und an der ASS gibt es einen Sport-Leistungkurs. Auch heute noch.



HNA, Serie: Aus Omas und Opas Schublade (1026) vom 12.08.2006:

Erfolgreiche Athleten der ASS


 Beim Wettbewerb „Jugend trainiert für Olympia” waren die Schüler der Albert-Schweitzer-Schule in den 70er Jahren sehr erfolgreich. 1974, 75 und '76 wurden sie Bundessieger in der Leichtathletik, beim Bundesfinale 1978 Zweiter. Unser Foto entstand vor 30 Jahren. Zu sehen sind die 16 jährigen Schüler:
•Obere Reihe von links:
Harald Schwarz, heute Forstamtsleiter in Schlüchtern; Dietmar Herrmann, heute Bankkaufmann in Bad Karlshafen, Fußballtrainer in Schöneberg, Tochter ist Leichtathletin; Thomas Fischer, heute Tierarzt in Homberg; Herwig Pfläging, heute Gymnasiallehrer (Mathe und Physik) in Kassel; Ralph Chudy, heute Polizeihauptkommissar in Vellmar; Ulrich Scharf, heute Speditionsunternehmer in Kassel, Mitglied, sponsort den Bus der Leichtathletikgemeinschaft Reinhardswald (LG); Uwe Steyer, heute Bankkaufmann in Reinhardshagen, LG-Mitglied, längere Zeit Kassenwart; Rainer Triebel, heute Dipl. Bauingenieur in Trendelburg.
•Untere Reihe von links:
Martin Vialon, heute Ass. Professor Neuere Deutsche Literatur in Istanbul, vielfacher Landesmeister; Ulrich Schnürer, heute Dipl. Bauingenieur Immenhausen; Arndt Berndt, Unternehmer in Holland (Gerüstbau); Uwe Haberzettel, heute Anästhesist in Ingolstadt, als Student Trainer der Speerwerfer (Seidel, Horey); Josef Klocke, Kameramann beim Bayrischen Fernsehen, München; Wolfgang Heidelbach, Dipl. Ing. Elekrotechnik, Hofgeismar, war Wettkampfbetreuer seiner Söhne Richard und Peter; Die ASS-Lehrkräfte Wilhelm Schmidt (links) und Rudi Steinbrecher (rechts).


-kw- 2006