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Resolution der hessischen UNESCO-Projektschulen

zum künftigen Umgang mit dem ehemaligen NSDAP-Reichsparteitagsgelände in Nürnberg als bundesweit herausragender außerschulischer Lernort

„Zeppelintribüne und Zeppelinfeld müssen für künftige Schülergenerationen als in Stein gesetzter Ort der Entmenschlichung erhalten bleiben“

Das sogenannte Zeppelinfeld, seit 1973 unter Denkmalschutz und Teil des ehemaligen NSDAP-Reichsparteitagsgeländes, zerfällt. Der Ort, an dem das „Du bist nichts, dein Volk ist alles“ in Stein gesetzt wurde, an dem Hitler sein „Ein Volk, ein Reich, ein Führer“ durch theatralisch inszenierte Massenaufläufe propagandistisch perfekt ins Land strahlen ließ, an dem die Menschenverachtung der NS-Ideologie wie auf einem Altar der Ewigkeit als Messe zelebriert wurde, dieser Ort ist in Verfall begriffen. Die Kosten für eine Sanierung betragen nach ersten groben Schätzungen 75 Millionen Euro, die weder die Stadt Nürnberg in ihrer Gesamtheit, noch der Freistaat Bayern alleine tragen können.

„An einem Ort wie Nürnberg, an dem die Ideale der NS-„Volksgemeinschaft“ inszeniert und bejubelt wurden, ist es besonders wichtig daran zu erinnern, dass die Menschheitsverbrechen des Nationalsozialismus nicht in einem fernen Osten ihren Ausgang nahmen, sondern inmitten der deutschen Gesellschaft, wo sie zumeist auf unterschiedliche Grade von Indifferenz, aber eben auch Rückhalt und Interessenanpassung stießen.“[1]

Die Zeppelintribüne und das Zeppelinfeld des Nürnberger NSDAP-Reichsparteitagsgeländes wurden von NS-Architekt Albert Speer als kultische Anlage der Selbstinszenierung mit einer deutlich erkennbaren Hierarchie geplant. Sie sind Ausdruck einer unvorstellbaren Gigantomanie, die in erster Linie den Weltherrschaftsanspruch des verbrecherischen NS-Regimes auf der Basis des Führer-Prinzips zum Ausdruck bringen soll.

Die umrahmenden Zuschauerwälle und die 34 Türme mit je sechs hohen Fahnenmasten sind starke Gliederungselemente, die den aufmarschierten Massen den Eindruck von Zusammengehörigkeit und Gemeinschaft vermitteln sollten. Die Zeppelintribüne befindet sich im Vergleich zu der restlichen Anlage in einer erhöhten Position und erhält durch die Flügelbauten, zwei große Flammenschalen sowie eine vergoldete Hakenkreuzskulptur einen sakralen, überhöhten Charakter. Die Rednerkanzel Hitlers befindet sich in der Mitte der Tribüne und ist seine einzige erhaltene Rednertribüne in Deutschland. Alle Teilnehmer eines NSDAP-Reichsparteitags auf dem Zeppelinfeld mussten zu dieser Kanzel aufschauen. Hitler stand bei seinen Reden an höchster Stelle und hatte das Volk und seine Parteikameraden unter sich „vereint“ und gleichzeitig ihm gegenüberstehend. Diese symbolische Bestätigung seiner uneingeschränkten Führerschaft durch Unterordnung und Gegenübertretung ist ein unmittelbarer und architektonisch manifestierter Treueschwur, dem sich kaum jemand entziehen konnte.

An kaum einem anderen Ort wurde die sogenannte „Volksgemeinschaft“ so zelebriert wie auf dem Zeppelinfeld in Nürnberg. Als Schauplatz zahlreicher Propagandaveranstaltungen inszenierte der NS-Staat dort weltweit bekannte Symbole wie den „Lichtdom“: durch Scheinwerfer an den Füßen der Säulen der Flügelbauten erschien die Zeppelintribüne als himmelhohes, nahezu unendliches Bauwerk. Leni Riefenstahl hat hier dunkle Filmgeschichte geschrieben und das Gelände für die Filmpropaganda erschlossen.

Es ist ein Ort, der die Täter und ihre Taten salonfähig gemacht hat und der die Fähigkeit und den Willen einer Mehrheitsgesellschaft aufzeigt, sich einer menschenrechtsfeindlichen Ideologie anzupassen und eine rassistische, verbrecherische Diktatur mit zu tragen. Die Einzigartigkeit der Zeppelintribüne steht stellvertretend für die „Ästhetisierung“ von Politik, die Show, die nazistische Selbstinszenierung und die Selbstüberhöhung. Dieser Ausdruck von kultisch-sakraler Gigantomanie spiegelt den Größenwahn, die Hybris und die menschenverachtende Ideologie eindrucksvoll wider. Lediglich der sogenannte „Schwerbelastungskörper“ in Berlin steht noch als Relikt derart für die Gigantomanie der Nazis ein.

Nur durch das Begehen und Erfahren der Orte, die das Menschenbild und die Ideologie des Nationalsozialismus repräsentieren, ist es möglich, emotional zu erfassen und zu begreifen, was rational zugänglich in Schulbüchern und Archiven aufgearbeitet wird.

„Das Langzeitgedächtnis wird durch anschauliche Objekte, konkrete Ereignisse und Personen gefördert. Wir erinnern sie besser als abstrakte Inhalte (Beispiel Schulstoff). Solche konkreten Gedächtnisinhalte rühren auch emotional stärker an. Das heißt, die Nazi-Bauten sollten nach Möglichkeit physisch erfahren werden, um eine emotionale Auseinandersetzung zu fördern. Filme und Fotos sind kein völliger Ersatz.“[2]

Die Kultusministerkonferenz hat in ihrem Beschluss „Erinnern für die Zukunft – Empfehlungen zur Erinnerungskultur als Gegenstand historisch-politischer Bildung in der Schule“ vom 11.12.2014 deutlich und ausdrücklich auf die Bedeutung einer lebhaften Erinnerungskultur für die historisch-politische Bildung aufmerksam gemacht. Aus dem Beschluss geht insbesondere hervor, dass das Erinnern ein Prozess ist, der historisches Bewusstsein, Wissen und Empathie stiftet, indem er die Vergangenheit auf die Gegenwart und Zukunft bezieht. Durch die kognitive und emotionale Auseinandersetzung mit historischen Orten sowie den sozialen, politischen und kulturellen Zusammenhängen können Menschen auch noch  Jahrzehnte später die Bedeutung der Geschichte für ihr heutiges Leben und ihre Generation erfahren. Dies gilt insbesondere auch für unsere moderne, durch Zuwanderung geprägte deutsche Gesellschaft, in der Teile der jüngeren Generationen den Nationalsozialismus nicht mehr als Teil ihrer Geschichte verstehen. Die emotionale Auseinandersetzung mit den Orten des Erinnerns und eine entsprechende didaktische Aufarbeitung sind elementare Schritte in der Entwicklung einer demokratischen Grundhaltung, einem differenzierten Urteilsvermögen und einer moralisch-ethisch geleiteten Handlungskompetenz.

„Erinnerungskompetenz wird somit – zusammenfassend – zu einem Kernbestand demokratischer und an den Menschenrechten ausgerichteter Kultur, indem sie [...] die Einsicht fördert, dass wir uns um ein gleichermaßen authentisches wie kritisches Bild der NS-Zeit bemühen müssen, aber auch in der Lage sind, dies zu tun […].“[3]

Um eine andauernde Aufarbeitung und beständige Erinnerungskultur aufrecht zu erhalten, ist es absolut notwendig, herausragende historische Orte wie die Zeppelintribüne und das Zeppelinfeld zu sanieren und zu erhalten. Schätzungen zufolge werden die Kosten für die Sanierung bei circa 75 Millionen Euro liegen.[4] Sollten keine Sanierungen durchgeführt werden, werden die Tribüne und das Feld nach und nach in sich zusammenfallen und auf diese Weise zu einer Sicherheitsgefahr für die Öffentlichkeit. Umfassende Schutzmaßnahmen sind nötig, um zu vermeiden, dass Menschen, die sich dort aufhalten, zu Schaden kommen. Gleichzeitig steigt dadurch die Gefahr der Mystifizierung des Ortes, was zur Folge hätte, dass die Gesellschaft den prägnantesten Ort der NS-Aufarbeitung aufgibt und denjenigen überlässt, die ihn für die Glorifizierung eines menschenverachtenden Regimes nutzen wollen. Dies zu verhindern ist ein zentraler Leitgedanke im Umgang mit diesem Ort. Die Zeppelintribüne muss ein historisch-politischer Lernort werden, der baulich intakt erhalten bleibt und didaktisch an das Dokumentationszentrum im Torso der sogenannten Kongresshalle angeschlossen wird. Nur durch einen bewussten Umgang mit diesem Ort kann eine Entmystifizierung stattfinden, die das kognitive und emotionale Verstehen in den Mittelpunkt stellt.

Die Stadt Nürnberg trägt die Hauptverantwortung für das ehemalige Reichsparteitagsgelände und ist verpflichtet, sich mit diesem Erbe auseinander zu setzen. Da das ehemalige Reichstagsgelände aber vor allem auch ein nationales Erbe von hoher Bedeutung ist, heißt das, dass die Stadt Nürnberg bei der Bewältigung dieser Aufgabe nicht alleine gelassen werden darf. Neben dem Freistaat Bayern ist insbesondere der Bund in der Pflicht, die Sanierung und die künstlerisch-didaktische Erschließung des Geländes finanziell zu unterstützen und zu fördern.

Die hessischen Schulkoordinatorinnen und Schulkoordinatoren der UNESCO-Projektschulen fordern die Deutsche UNESCO-Kommission auf, sich in den zuständigen Gremien des Bundes dafür stark zu machen, dass der deutlichste außerschulische Lernort für den Bereich der NS-Herrschaftsideologie für künftige Schülergenerationen erhalten bleibt. Parallel hoffen wir darauf, dass sich Schulkoordinatorinnen und Schulkoordinatoren aller deutschen UNESCO-Projektschulen dieser Resolution anschließen.

Dieburg, 11. Februar 2016

Die hessischen Schulkoordinatorinnen und Schulkoordinatoren der UNESCO-Projektschulen


[1] Dr. Doris Katheder: „Ein Trümmerfeld als Lehrstück? Erinnerungskompetenz als Kernbestand politischer Bildung“. Positionen 2014 - Zum Umgang mit der Zeppelintribüne und dem Reichsparteitagsgelände. BauLust Initiative für Architektur & Öffentlichkeit e. V., Nürnberg, 2014.

[2]   Prof. Dr. Friedrich Lösel: „Was tun mit dem Reichsparteitagsgelände? Bemerkungen aus psychologischer Sicht“. Positionen 2014 - Zum Umgang mit der Zeppelintribüne und dem Reichsparteitagsgelände. BauLust Initiative für Architektur & Öffentlichkeit e. V., Nürnberg, 2014.

[3] Dr. Doris Katheder: „Ein Trümmerfeld als Lehrstück? Erinnerungskompetenz als Kernbestand politischer Bildung“. Positionen 2014 - Zum Umgang mit der Zeppelintribüne und dem Reichsparteitagsgelände. BauLust Initiative für Architektur & Öffentlichkeit e. V., Nürnberg, 2014.

[4] „Das Zeppelinfeld in Nürnberg – ein deutscher Lernort zur Geschichte des Nationalsozialismus“. Konzeptpapier der Arbeitsgruppe ehemaliges Reichsparteitagsgelände der Stadt Nürnberg, 25. Juli 2011.