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Kasseler Bürgerpreis für einen peruanischen Bergbauern vor einem interessierten Publikum von Schülerinnen und Schülern

„Die Berge sind alles für mich.“ Warum das so ist, das erklärte der peruanische Bauer Saúl Luciano Lliuya am Samstag, den 22. September 2018, vor ausgewählten Schülerinnen und Schülern der Stadt und des Landkreises Kassel. Die Podiumsdiskussion fand anlässlich der Verleihung des Kasseler Bürgerpreises, der am Sonntag, den 23. September 2018, im Kasseler Staatstheater vergeben wurde, statt. Es ist eine Geschichte, die uns alle angeht. Denn „[d]er Himmel über Peru ist derselbe wie der über dem Ruhrgebiet, auch wenn 10.500 Kilometer dazwischen liegen.“ (Wirtschaftswissenschaftlerin Prof. Dr. Claudia Kemfert am 23.09.2018 bei der Preisverleihung) Sophia Longwe, Schülerin aus der Q1, und andere waren dabei.

"Die Berge sind alles für mich" - Podiumsgespräch mit Saúl Luciano Lliuya und Dr. Roda Verheyen

Am Samstag, den 22. September 2018, waren sechs Schülerinnen und Schüler unserer Schule gemeinsam mit Herrn Grote bei einem Podiumsgespräch in der Waldorfschule Kassel, an dem auch andere Schüler und Schülerinnen aus der Region teilnahmen. Das Podiumsgespräch fand anlässlich der Verleihung des Kasseler Bürgerpreises „Glas der Vernunft“ statt. Preisträger des Kasseler Bürgerpreises 2018 ist der peruanische Landwirt und Fremdenführer Saúl Luciano Lliuya, der bekannt geworden ist, weil er den Energiekonzern RWE verklagt hat. „Es ist eine Geschichte wie die von David gegen Goliath“, betonte der Moderator der Podiumsdiskussion Prof. Dr. Michael Zech.

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Saúl Luciano Lliuya (mittig) mit seiner Anwältin Dr. Roda Verheyen (links) und einem Dolmetscher (Foto: S. Longwe)

Lliuya lebt mit seiner Familie in den Hochanden Perus in einer kleinen Stadt. Doch sein Leben und das von tausenden Anderen in der Region wird ist bedroht. „Die Berge sind alles für uns“, erzählte Lliuya, denn sie dienen den Einwohnern der Hochanden dank der Gletscher als Trinkwasserquelle und für die Bewässerung der Felder. Aber die Temperaturen steigen. Schon in den letzten Jahren gab es dramatische Veränderungen, die jederzeit zu Katastrophen wie Überflutungen und Lawinen führen können. Lliuya berichtete: „Vor zwei Jahren war es so warm, dass es nicht geregnet und geschneit hat. Es war so warm, dass die Flüsse größer geworden sind, weil die Gletscher schmolzen. Da habe ich gesehen, wie sehr die Berge betroffen sind, dass die Berge weinen wegen der hohen Temperaturen.“
Doch was hat das deutsche Unternehmen RWE damit zu tun? Die Anwältin Lliuyas, Dr. Roda Verheyen, erklärte uns, dass RWE unter den ersten 50 Emittenten für Treibhausgase weltweit ist. RWE emittiert so viel wie ganze Länder und trägt 0,47% zu den Treibhausgasen in der Welt bei. Deshalb verlangt Lliuya auch, dass RWE genau 0,47% des Schutzes von Huaraz finanziert, denn wären die Emissionen nicht da, wäre es in Peru kälter.
Lliuya ist über die Umwelt- und Entwicklungsorganisation „Germanwatch“ zu der deutschen Anwältin Dr. Roda Verheyen gekommen. Mit ihrer Hilfe hat Lliuya RWE auf einen Schadensersatz von 17.000 Euro verklagt, denn nach Paragraph 1004 im Bürgerlichen Gesetzbuch muss jemand, der das Eigentum eines anderen beeinträchtigt, die Störung entweder einstellen oder das Eigentum des anderen vor der Beeinträchtigung schützen. Die Emissionen von RWE verursachen zum Teil den globalen und regionalen Klimawandel und dieser beeinträchtigt das Eigentum Lliuyas. Eine einfache Gleichung, die individuelle Verantwortung für den Klimawandel voraussetzt, welche oft in Frage gestellt wird. Deshalb ist die Klage Lliuyas auch so besonders, denn noch nie zuvor hat eine Einzelperson einen individuellen Großemittenten verklagt. Es handelt sich also um einen Präzedenzfall, der eine Hoffnung auf weitere Klagen gegen Großemittenten bedeutet.
Am Ende stellte Dr. Roda Verheyen uns als Schüler und Schülerinnen noch eine Frage: „Wenn Sie sich eine Sache zur Verbesserung des Klimawandels wünschen würden, was wäre es?“. Manche wünschten sich ein neues Wirtschaftssystem, das Gemeinwohl zu einem wirtschaftlichen Faktor macht. Andere Schüler und Schülerinnen äußerten den Wunsch, dass die Politik einen stärkeren Fokus auf den Klimawandel legen sollte. Außerdem wünschten sich die Schüler und Schülerinnen mehr Beschäftigung und Nachdenken über die individuelle Verantwortung und vor allem ein Ablegen der Bequemlichkeit, denn alle waren sich einig, dass es sich um ein gesellschaftliches Problem handelt, das uns alle etwas angeht.
Dr. Roda Verheyen verglich unsere jetzige Situation, den Klimawandel betreffend, mit einem Menschen, der aus dem 50. Stockwerk eines Hochhauses fällt. Sie betonte, dass Lliuya für uns kämpft und unserer Gesellschaft die Augen öffnet. Auf die Frage, ob Lliuya Angst hat den Prozess zu verlieren, antwortete Lliuya nur: „Man fühlt alles dabei!“.

 

Verleihung des Kasseler Bürgerpreises an Saúl Luciano Lliuya

Der Kasseler Bürgerpreis wurde am Tag nach dem Podiumsgespräch, am Sonntag, den 23. September 2018, an Saúl Luciano Lliuya vergeben. Die Preisverleihung fand im Kasseler Staatstheater statt. Unter den geladenen Gästen waren auch zwei Schülerinnen unserer Schule in Begleitung von Frau Dr. Turba-Jurczyk

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(Foto: S. Longwe)

Zu Beginn der Veranstaltung wurde ein Film über Huaraz, die Heimatstadt Lliuyas, gezeigt und wie sehr diese durch einen schmelzenden Gletscher bedroht wird. Lliuya hat Rechtsgeschichte geschrieben, denn er verklagte 2015 den Großemittenten RWE, weil dieser Mitverursacher des Klimawandels ist. Das Oberlandesgericht Hamm ließ die Berufungsklage im November 2017 zu, also müssen die Betroffenen wahrscheinlich von RWE entschädigt werden. Nach der Urteilsverkündung sagte Lliuya; „Die Berge haben gewonnen, aber das Tauwasser der Gletscher sind ihre Tränen. Doch die Gerechtigkeit hat das Weinen der Berge erhört.“
Die Festrede hielt der Klimaforscher Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Joachim Schellnhuber. Ein Beweis dafür, dass der Klimawandel auch uns betrifft ist das Schlängeln des sogenannten „Jetstreams“, welches eigentlich nicht ortsfest ist. Aber im viel diskutierten Dürresommer 2018 blieben diese Wellen für fünf Monate über uns stehen und verursachten die außergewöhnlich hohen Temperaturen. Schellnhuber kritisierte, dass uns so etwas erst interessiert, wenn es in unser Leben kommt.
Der Klimaforscher benutzte den menschlichen Körper als Sinnbild für die Erde und das Klima. Die Organe der Erde sind zum Beispiel Korallenriffe, die Sahara oder der Nadelwald. Bei einer Temperaturerhöhung um zwei Grad Celsius ist der Mensch krank, aber wenn sich die Temperatur um fünf Grad Celsius erhöht, dann sterben die Organe und der Mensch ist tot. So wie es jetzt aussieht, wird es auf der Erde im Jahr 2500 acht Grad Celsius wärmer werden! Demzufolge wären alle lebenswichtigen Organe der Erde zerstört. Schellnhuber zeigte anhand von Studien und Berechnungen, dass der Mensch die Dynamik des Planeten entscheidend verändert hat. Er stellte klar, dass es sich um eine „Spitz-auf-Knopf-Situation“ handelt, denn selbst wenn alle Klimaziele eingehalten werden, muss um jedes Zehntel Grad Celsius gekämpft werden.

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Professor Dr. Dr. h.c. H. J. Schellnhuber während seines Vortrages (Foto: S. Longwe)

Die Laudatio hielt die Wirtschaftswissenschaftlerin Prof. Dr. Claudia Kemfert. Sie fand klare Worte zu Lliuyas Klage: „Menschen wie Saúl erklären uns unser Wirtschaftssystem, denn Huaraz ist überall.“ Von den Gewinnen profitieren industrielle Großemittenten, wie RWE, aber die Kosten trägt letztendlich die Gesellschaft, erklärte Kemfert. Sie machte deutlich, dass wir auf Kosten der ärmeren Welt leben und Schulden bei diesen Menschen haben, denn wir in Deutschland können uns Schutzmaßnahmen leisten, doch in Lliuyas Heimat werden, wenn nichts unternommen wird, bald 20.000 Menschen sterben.
Kemfert stellte klar, dass es uns alle betrifft: „Der Himmel über Peru ist derselbe wie der über dem Ruhrgebiet, auch wenn 10.500 Kilometer dazwischen liegen.“

Sophia Longwe, Q1